Was ist eine Schonungsnummer?
Du kennst diese Situationen vielleicht: Im Gespräch mit deiner besten Freundin, deinem besten Freund, Schwester, Bruder, Nachbarn, … wird dir unvermittelt und quasi nebenbei offenbart, dass es vor einiger Zeit ein paar schwierige Situationen gab und es der Person nicht so gut ging.
Und du stehst da: „Was? Davon weiß ich ja gar nichts, warum hast du denn nichts gesagt?“
Und die Antwort ist: „Ich wollte dich damit doch nicht belasten, du hattest ja genug um die Ohren/warst gerade so gut drauf/…“
Und eventuell kommt dann bei dir ein Gefühl hoch, dass sich nicht so toll anfühlt, dich vielleicht sogar schlucken lässt. Was denkt diese Person von dir? Wie kommt sie denn darauf, dass du damit nicht zurecht kommen würdest und hier irgendwie beschützt werden musst … oder – geschont?
Und das ist es eigentlich auch schon eine Schonungsnummer. Wir sagen nicht, was wir meinen, wollen oder benötigen, weil wir meinen damit der anderen Person etwas Gutes zu tun. Wir nehmen der Person schließlich eine Bürde ab, schützen sie vor negativen Dingen, wollen sie nicht in Erklärungsnot bringen, warum sie uns nicht helfen kann und schaffen das schon irgendwie selber mit uns auszumachen.
Was passiert dabei mit uns und unseren Bedürfnissen?
Bestimmt sind das ganz noble Argumente. Was wir aber damit auch bewirken ist zweierlei:
1. Wir sprechen der anderen Person die Fähigkeit ab, mit unseren Gefühlen, Bedürfnissen und Äußerungen umgehen zu können. Wir lassen der Person nicht die Entscheidung, ob sie das vielleicht wissen möchte und händeln kann. Wir gehen einfach davon aus, dass wir es für diese Person besser wissen. Und darin liegt dann eigentlich der große Fehler. Wir trauen der anderen Person nicht zu, dass diese selbst für sich bestimmen kann und auch das Wort „Nein“ im Vokabular hat. (2-jährige Kindern seien hier einmal ausgenommen)
2. Wir werten uns selbst und unsere Bedürfnisse ab. Wir sagen nichts, weil wir vielleicht Angst davor haben, wie die andere Person reagiert. Und da ist es leichter, die eigenen Bedürfnisse (oder Meinungen) hinten anzustellen und uns nicht mit diesen darzustellen, gar anzuecken oder als „Egoist“ zu gelten. Um des lieben Friedens Willen…
Diese Vorsicht kommt natürlich nicht von irgendwoher – viele Menschen trauen sich auch nicht „nein“ zu sagen und das wissen wir und wollen helfen. Und wir alle haben im Leben bestimmte Dinge gelernt und Erfahrungen gemacht, die sich nun in unserem Verhalten äußern.
Allerdings tun wir in solch einem Falle weder uns selbst, noch der anderen Person einen Gefallen, denn wir werten uns und auch die andere Person ab. Klar, dass das für Missstimmung sorgt. Und wem ist damit langfristig geholfen?
Deswegen: Schonungsnummern sind out. Jeder Mensch ist grundsätzlich erstmal fähig selbst zu entscheiden und du bist es dir wert, deinen Liebsten zu sagen, was bei dir los ist.
„Tja, leichter gesagt als getan“ denkst Du dir vielleicht. Und das stimmt.
Selbst-Wahrnehmung, Selbst-Entdeckung und das Bewusstsein dafür zu erschaffen, welche Mechanismen, Erlebnisse und Botschaften hinter diesen Dingen liegen kann richtig hart sein und auch sehr weh tun. Innerhalb der Komfortzone bleibt man damit nicht.
Aber wie es so schön heißt: Veränderung passiert außerhalb deiner Komfortzone. Du entscheidest, ob du diese Veränderung anstreben möchtest oder nicht. Denn, wir trauen Dir zu, dass du für Dich entscheiden kannst 🙂
P.S. Die Welt ist natürlich nicht dazu da, um dir deine geäußerten Bedürfnisse nun zu erfüllen. Das obliegt der Entscheidung des Gegenüber. Aber ohne die Äußerung ist die Chance auf Erfüllung doch recht gering.
Als Hintergrund und Weiterführung sei hier das „Ich bin Okay, Du bist Okay“-Konzept von Thomas Harris erwähnt. In seinem Buch* geht es detailliert um diese Schonungsnummern-Situationen (wenn auch nicht so benannt), wie es dazu kommt, welche Rollen die Beteiligten dabei spielen und wie man da auch wieder raus kommt. Für vernünftige Kommunikation, ein werschätzendes Miteinander und Selbstreflexion ist dieses Buch wunderbar.
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