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Ich sitze einem Mittfünziger gegenüber mit stark erhöhtem PSA-Wert und kurz vor einer Prostataoperation. Er schildert mir sein Problem auf der Arbeit mit seinem neuen Kollegen, der, nach seiner Meinung, es wohl darauf abgesehen hat seinen Job übernehmen und ihn aus der Firma drängen zu wollen.

Als ich mir erklären lasse, wie er denn auf diese Idee käme, schildert er mir folgende Begebenheit: „Der neue Kollege kam vorgestern aus dem Aufzug raus hat stur an mir vorbeigeschaut, nicht gegrüßt und ist einfach auf dem Flur weitergelaufen. Das ist doch ziemlich eindeutig, dass der mit mir was am Laufen hat und bestimmt nichts Gutes!“

Hier können wir eine wichtige Regel im Bereich der Kommunikation erkennen:

Man kann nicht nicht kommunizieren.

Das heißt, auch wenn jemand scheinbar nichts sagt, so wird sein Verhalten beim Beobachter etwas auslösen, eine non-verbale (ohne Worte) Kommunikation hat stattgefunden. Nun ist es allerdings so, dass der Empfänger immer die Botschaft macht, das heißt er entscheidet, wie und was er aus der Botschaft des Senders empfängt und wie er diese interpretiert.

Ich hake also bei meinem Klienten nach:

„Achso, Sie haben ihn also gesehen wie er da aus dem Aufzug herauskam und haben das so interpretiert?“

„Na ja, der benimmt sich einfach in der letzten Zeit echt merkwürdig und wenn ich meine Kollegen frage, dann sagen die auch, dass der wohl gerade was ausbrütet.“

Wenn wir das so erfahren, dann können wir den obigen Satz wohl ergänzen:

Man kann nicht nicht kommuniziert werden!

Der Kollege wird also von seinen Kollegen und meinem Klienten in ein gedankliches Konstrukt eingebaut, das sich um einen „Brütvorgang“ dreht.

Zur Sicherheit frage ich mal nach: „Aber ihre Vermutung haben Sie noch nicht überprüft? Sie haben noch nicht mit ihm darüber gesprochen, wenn ich das richtig erspüre?“

„Nein, wo kommen wir denn da hin, jetzt soll ich auch noch mit dem Typen reden? Wenn er was mit mir hat, dann soll er gefälligst auf mich zugehen und mir das sagen! Ich mach mich doch nicht noch klein und kratze an ihm rum!“

Ich spüre deutlich wieviel Wut da bei meinem Klienten hochkommt und dass seine inneren Rollläden schon ganz schön unten sind.

„Okay, Sie haben also noch nicht mit ihm darüber sprechen können. Was meinen Sie, könnte sein Verhalten auch eine andere Ursache haben? Vielleicht sogar gar nichts mit Ihnen zu tun haben? Lassen Sie uns doch die Situation mal auf 4 Ebenen untersuchen, einverstanden?“

„Na ja okay, welche Ebenen sind das?“

Sachebene

Ich lade ihn ein mit mir zuerst auf die Sachebene zu gehen. Diese Ebene sammelt einfach nur die rein sachlich feststellbaren Fakten in der Situation, ohne Interpretationen und Vermutungen. Wir stellen fest, dass der Kollege aus dem Fahrstuhl kam, sein Blick war nach vorne gerichtet und er ging am Klienten vorbei ohne Gruß. Auf meine Frage, was diese rein sachliche Betrachtung bei ihm auslöst sagt er:

„Also wenn ich mir das so aus der Distanz ganz neutral anschaue, dann hat sein starrer Blick und die Grußlosigkeit vielleicht gar nichts mit mir zu tun. Vielleicht war er ja gerade beim Chef und hat eine abgeräumt bekommen und so wie er aussah war er wie in Trance. Hmm… vielleicht habe ich da ja zu viel hineininterpretiert. Was sind denn die anderen Ebenen?“

Beziehungsebene

„Nun, die nächste Ebene kennen Sie sehr gut, das ist nämlich die Beziehungsebene, also die Betrachtung in welcher Beziehung stehen die Personen zueinander. Da haben Sie ja schon recht viel hineingedeutet in die Situation und Sie merken auch, dass diese Sichtweise sehr konfliktträchtig ist, da in jeder Gelegenheit die Beziehung zueinander in Frage gestellt wird. Besonders Menschen, die ein schwaches Selbstwertgefühl haben, betrachten die Beziehung zu anderen sehr oft als eine Möglichkeit sich selbst in Frage zu stellen. Wie ist das denn mit Ihrem Selbstwertgefühl im Moment?“

„Naja, durch die Prostatabeschwerden habe ich auch sexuelle Schwierigkeiten und meine Frau hat mich in einem Streit mal als Schlappschwanz tituliert, das hat mich sehr gekränkt. Sie hat es nicht so gemeint, aber es hat gesessen und nagt noch heute an mir.“

„Daher haben Sie wohl auch die Situation mit ihrem Kollegen als Angriff interpretiert.

Appellebene

Aber lassen Sie uns noch auf die anderen Ebenen schauen. Auf der Appellebene bewerten wir ein Ereignis dahingehend, ob ein geheimer nicht ausgesprochener Wunsch im Verhalten des anderen zu sehen ist. Wie zum Beispiel: „Sprich mich jetzt ja nicht an!“ oder „Geh mir aus dem Weg, ich hab viel zu tun!“ Könnte da auch etwas in der Situation gewesen sein?“

„Ja, dadurch dass der Kollege mich nicht ansah, hatte er wohl den Appell an mich, dass er nicht angesprochen werden will. Ich glaube jetzt wirklich, dass er ganz schön mit sich beschäftigt war, wenn ich mir das nochmal durch den Kopf gehen lasse. Und die letzte Ebene?“

Selbstoffenbarungs-

ebene

„Der Entwickler dieses Kommunikationsmodells Schulz von Thun spricht hier von der Selbstoffenbarungsebene also was könnte der Kollege durch sein Verhalten über sich selbst offenbaren. Sie haben da ja gerade schon mit angefangen: er war wohl sehr mit sich selbst beschäftigt, wollte nicht angesprochen werden. Das kann ich mir auch sehr gut vorstellen, vielleicht war er sogar traurig oder zornig über eine vorangegangene Situation und gar nicht richtig im Moment. Was passiert mit ihnen, wenn Sie sich die Situation nun aus allen 4 Perspektiven anschauen?“

„Hmm, ich bin schon ganz woanders, aber es gibt wohl diese 4 Betrachtungsweisen in allen Situationen?! Wenn ich mir die „Schlappschwanzsituation“ mit meiner Frau so betrachte, dann hat sie auf der Sachebene sogar in gewisser Weise recht. Es funktioniert einfach mit der Erektion nicht mehr so gut und auf der Appellebene wollte sie mir wohl mitteilen, dass sie da was vermisst. Ich glaube auch, dass es ihr mit der ganzen Angst und dem was auf uns zukommt auch sehr schlecht geht. Die Sache mit dem Kollegen hat für mich grad keine große Bedeutung mehr. Ich werde dieses Modell mit den 4 Ebenen mal meiner Frau erzählen. Sie hat ein schlechtes Gewissen darüber, weil ihr das rausgerutscht ist… Danke erstmal. Ich habe was zu tun!“

Wir verabschieden uns voneinander und in der nächsten Sitzung nach der Operation ist seine Gattin mit dabei. Wir besprechen all das, was in letzter Zeit in der Kommunikation unterdrückt geblieben ist und auch die möglichen Folgen der Operation, die in den nächsten Monaten auf die beiden zukommen werden.

Dein Thomas

vom TBAcare Team

Wenn du mehr über solche und weitere Kommunikationsmodelle lernen willst, dann ist die Ausbildung Psychoonkologische Beratung vielleicht etwas für dich.

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