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Das Schweigen der Männer

Heute kommt ein Mann, Herr Seibert, zu mir in die Praxis. Den Termin hat seine Frau über ein Buchungstool ausgemacht, daher ist er zustande gekommen. Ich selbst hätte die Frau gebeten, dass der Mann den Termin mit mir selbst ausmacht, denn das ist schon ein wichtiger erster Schritt für jeden Klienten, den Telefonhörer in die Hand zu nehmen und die Hürde der Scham (Hilfe zu benötigen) zu überwinden. Nun bin ich gespannt, wer da heute kommt und welches Anliegen Herr Seibert mitbringen wird. Für mich ist es sehr wichtig, dass Klienten ein eigenes Bedürfnis formulieren und nicht nur von einem Partner geschickt wurden. Insbesondere ist meine Beobachtung, dass ich vorwiegend Frauen in meiner Praxis begrüßen kann. Sie scheinen diese Hürde leichter nehmen zu können. Ich spreche gerne in diesem Zusammenhang vom „Schweigen der Männer“. In einer von Konkurrenz geprägten Welt ist das Zugeben einer Schwäche, auch in Form von Krankheit oder Hilfsbedürftigkeit, selten zu finden. Es würde den Mitbewerbern das Vorbeiziehen ermöglichen und so halte ich die Konkurrenz durch Schweigen lieber fern. Das erhöht natürlich den Stress und die Möglichkeiten für schwerwiegende Erkrankungen.

Das Anliegen

Als ich Herrn Seibert begrüße bin ich doch etwas überrascht, da er ein Bär von Mann ist, fast einen halben Kopf größer als ich. Er gibt mir mit weichem, etwas feuchtem Druck die Hand und scheint etwas unsicher zu sein.

„Herr Seibert, schön, dass Sie zu mir kommen! Ich habe selten Männer in der Praxis und freue mich daher umso mehr. Was führt Sie denn zu mir?“

Wir setzen uns und er bremst mich gleich aus.

„Herr Bach, eigentlich wäre ich gar nicht hier, ich hab nämlich überhaupt kein Problem. Meine Frau hat mich geschickt und ehrlich gesagt, müsste eigentlich sie hier sitzen. Was ist denn eigentlich ein Psychokologe oder wie das heißt. Haben Sie denn studiert?“

„Also Herr Seibert, dann will ich mich erst einmal dafür bedanken, dass Sie trotzdem gekommen sind, obwohl Sie gar kein Problem haben. In der Psychoonkologie geht es um die Begleitung von Menschen, die an Krebs erkrankt sind oder deren Angehörigen, da diese Krankheit das ganze Familiensystem durcheinanderwirft. Ich selbst bin Heilpraktiker und arbeite seit 1999 mit Krebspatienten.

Herr Seibert, bevor wir uns wieder verabschieden, denn wenn Sie selbst kein Problem haben, dann ist es wenig sinnvoll, wenn Sie hier Ihre Zeit vergeuden, gestatten Sie mir dann noch eine Frage?“

„Eine Frage? Verabschieden? Ja, natürlich.“ Gibt er mir etwas konsterniert zur Antwort.

„Gut, vielen Dank. Wir sind uns darüber einig, dass Sie im Moment kein Anliegen haben, aber was würde zu Hause passieren, wenn Sie Ihrer Gattin erzählen würden, dass wir uns kurz getroffen haben und uns aber gleich wieder verabschiedet haben?“

„Ach Du meine Güte, dann würde die mir die Hölle heiß machen, was sie alles gemacht hat um den Termin zu bekommen. Sie würde mich ganz schön zusammenscheißen und sicherlich eine ganze Woche lang nicht mehr mit mir reden. Sie ist immer so impulsiv und kann so richtig abgehen. Nein, das wäre keine gute Idee.“

„Das heißt, dass Sinnvollste für Sie wäre, wenn Ihre Frau hier wäre und wir zusammenarbeiten würden, nehme ich das so richtig wahr?“

„Ja, genau. Seitdem ich meine Diagnose mit dem Lungenkrebs habe, ist meine Frau übervorsorglich geworden und will, dass ich allen möglichen Kram machen soll, damit ich gesund werde oder bleibe. Ich halte mich auch weitestgehend an ihre Ideen, sind ja meistens gar nicht so schlecht. Aber hier? Keine Ahnung was ich hier soll.“

„Dann würde es also krachen, wenn Sie nach Hause kommen. Wie gehen Sie denn mit solch einer belastenden Situation um?“

„Normalerweise lasse ich sie zetern und stelle auf Durchzug, dann geht das nach ein, zwei Tagen schon wieder, aber mich belastet das dann auch. Es gibt nichts zu Essen und es ist kaum auszuhalten im selben Raum mit ihr.“

„Das ist dann ein Problem für Sie?“

„Ja das ist tatsächlich ein Problem, aber sie können ja hier nicht an meiner Frau rumdoktern, denn sie ist ja nicht da. Die hätte es wie schon gesagt dringend nötig!“

„Das glaube ich Ihnen. Das wäre wohl die beste Lösung. Darf ich Ihnen eine zweitbeste Lösung anbieten?“

Der Auftrag

Herr Seibert nickt nachdenklich aber auch interessiert.

„Sie haben gerade gesagt, dass Sie dann unter der Situation auch leiden und daraus entsteht natürlich auch Stress in Ihnen. Wie wäre es, wenn wir beide daran arbeiten, dass Sie für solche Situationen, in denen Sie sich nicht an die Wünsche Ihrer Frau anpassen, andere Reaktionsweisen kennenlernen, die dazu dienen würden, die Situation schneller zu entspannen und für sie beide weniger Stress bedeuten würden? Weniger Stress wäre auch für Ihre Erkrankung eine gute Genesungsunterstützung, denn die Wissenschaftler sind mittlerweile schon sehr weit in der Erkenntnis, was Stress im Körper bewirken kann.“

„Ja, das klingt interessant und würde uns beiden etwas bringen. Was müsste ich denn tun?“

„Vielleicht können Sie mir erst einmal erzählen, wie ihre Auseinandersetzungen denn meistens beginnen? Was ist der Auslöser?“

„Naja, das ist immer wieder das Gleiche. Meine Frau hat wieder irgendwo etwas über eine neue Therapieform für die Lunge gelesen und fragt mich dann ganz harmlos, ob ich das auch gelesen hätte. Habe ich natürlich nicht, denn mich interessiert das alles gar nicht so. Ich habe da diesen Schatten gehabt, der ist behandelt worden und gut ist. Was soll denn jetzt immer wieder dieses Nachbohren und noch diese oder jene neue Therapieform? Es ist doch so wie es ist gut, im Moment. Ich will gar nicht darüber reden, das macht mich nur gribbelig und sie fängt immer wieder davon an. Wenn ich dann in Ruhe gelassen werden will, beginnt sie mir Vorwürfe zu machen, dass ich gar nicht an meiner Gesundheit interessiert sei und mich überhaupt nicht mitteile, wie es mir gehe. Das nervt mich erst recht, denn das sind alles wilde Unterstellungen.“

Herr Seibert schweigt nach so vielen Worten und wird ganz still. Ich lasse ihm diesen Raum zum Nachspüren.

Nach langer Zeit des Schweigens, in der er auf einem Punkt auf meinem Teppich starrt, schaut er überrascht auf mich: „Das haben Sie jetzt aber geschickt eingefädelt. So viel habe ich schon lange nicht mehr geredet. Was meinen Sie dazu?“

„Wie geht es Ihnen denn jetzt gerade, nachdem Sie mir Ihre Situation geschildert haben?“

„Also irgendwie tut es gut sich mal auszukotzen. Ich habe manchmal das Gefühl, ich hätte gar keinen Raum zum Atmen mehr, wenn Sie mich so belatschert. Und dann fange ich an zu schreien. Sicherlich nicht die beste Reaktion.“

„Was meinen Sie, was Ihre Wut dann in Ihrem Körper auslöst?“

„Naja, sicherlich nichts Gutes für meinen Krebs. Ich werde sauer und meine Frau sagt, dass Übersäuerung im Körper dem Krebs Vorschub leistet. Aber sie ist ja dran Schuld, wenn ich sauer werde!“

„Wie meinen Sie das? Kann Ihre Frau ein Knöpfchen drücken und Sie müssen dann genau so reagieren? Oder haben Sie Wahlmöglichkeiten?“

„Hmm, das macht mich einfach wütend!!“

„Was denn genau?“

„Naja, wenn Sie so neunmalklug daherschwätzt und mir sagen will, wo es jetzt für mich und meine Krankheit hingehen soll, obwohl ich im Moment einfach nur in Ruhe gelassen werden möchte.“

„Was könnte ihre Frau damit ausdrücken wollen?“

„Sie sagt zumindest, dass Sie sich Sorgen um mich macht und einfach manchmal Angst hat um mich und dann fängt sie an zu recherchieren, um sich zu beruhigen.“

„Aha, das heißt, Sie hat einfach erst einmal Angst! Wie sieht es bei Ihnen mit der Angst aus? Können Sie manchmal Angst spüren?“

„Nein. Ich lenke mich ab, gehe mit dem Hund raus, oder schaue Fußball.“

„Das heißt, dass Ihre Frau die Angst für 2 haben muss?“

Die Erkenntnis

„Hmm, wenn Sie das so sehen wollen. Aber welche Alternativen habe ich denn?“

„Was würden Sie mit einem Kind machen, das Angst hätte? Würden Sie es wegstoßen?“

„Nein ich würde auf den Schoß nehmen und einfach halten, bis es sich beruhigt…. Hmm, Sie meinen, dass ich das mal mit meiner Frau machen sollte? Ich glaube, dass Ihr das etwas bedeuten würde.“

Er fällt wieder in Schweigen und scheint sich diese Situation vorzustellen. Nach längerer Zeit schaut er wieder auf und lächelt mich an.

„Danke, Herr Bach, ich glaube ich weiß jetzt weiter! Sie haben mir geholfen. Kann ich wiederkommen?“

 Wir machen einen weiteren Termin aus und er verabschiedet sich mit festem Händedruck und schaut freundlich auf mich herab.

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