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Neulich in der Praxis

 

Ziemlich aufgelöst sitzt mir Frau Sieber gegenüber. Sie hat ihr Weihnachtseinkaufstüten neben ihren Sessel gestellt und ist fast den Tränen nahe. Ich lasse sie erst einmal durchatmen und stelle ihr ein Glas Wasser bereit. Normalerweise arbeite ich sehr stark lösungsorientiert und lasse mir wenig bis fast gar nichts aus der „Problemtrance“ meiner Patienten erzählen, doch heute glaube ich, dass Frau Sieber dringend erst einmal „abladen“ möchte, so wie sie es mit ihren Tüten gemacht hat.

Also frage ich sie erst einmal: „Was war denn los?“

„Ach Herr Bach, ich bin so wütend und gleichzeitig fühle ich mich auch so allyyeingelassen. Gerade bin ich echt fertig und keiner versteht mich wirklich. Zum Glück kann ich mich bei Ihnen jetzt mal so richtig auslassen. Also es geht los mit meinem Mann. Sie wissen ja, dass er seit einem halben Jahr diese furchtbare Diagnose des Pankreaskrebses hat. Zu Anfang haben wir tatsächlich gemeinsam recherchiert, Ärzte befragt und sind zu Kliniken und Heilzentren gefahren. Es ging ihm damals so gut und er war voller Hoffnung, das hat mich selbst hoch motiviert, so dass ich zu hoher Energie aufgefahren bin. Wir waren ein tolles Team und hatten sogar manchmal Spaß dabei.

Doch seit 3 Wochen hat mein Mann erfahren, dass er trotz all unserer Mühen Lebermetastasen bekommen hätte. Das hat ihn total niedergeworfen und er möchte sich jetzt nur noch klassisch behandeln lassen und irgendwie kann ich ihn gar nicht mehr erreichen. Ich suche natürlich weiter und habe auch schon viele Möglichkeiten gefunden, wie man die Leber gut unterstützen könnte, aber er will gerade gar nicht mehr mitziehen. Im Gegenteil, er erinnert mich gerade an einen Cartoon von Loriot, wo der Mann einfach nur im Sessel sitzen will und seine Ruhe haben möchte.“

Ich unterbreche sie kurz in ihrem Redefluss und frage „Und Sie sind die Gattin, die in der Küche hin und herläuft und ihn dauernd nervt?“

Sie schaut mich konsterniert an und wird ganz still.

„Meinen Sie? Ich habe mich dabei gar nicht selbst gesehen, aber wenn ich darüber nachdenke, dann habe ich tatsächlich diese nörgelnde, antreibende Rolle übernommen. Ich meine es doch nur gut.“ Sie senkt den Kopf und fällt in sich zusammen.

Es scheint mir fasst so, als wäre eine Aufziehfeder plötzlich stehen geblieben. Ich lasse ihr Zeit zum Nachspüren.

Nach mehreren Minute Stille hebt sie wieder den Kopf und schaut mich mit feuchten Augen an. „Mich hat dieser Cartoon immer innerlich aufgeregt, diese phlegmatische Art vom Mann, der einfach nur da sitzen will, brachte mich auf die Palme. Und nun passiert genau mir das. Mein Mann will einfach nicht mehr herumjagen nach neuen Behandlungen, sondern nur noch das nötigste Tun. Hat er sich aufgegeben?“

„Haben Sie mit ihm darüber gesprochen? Es wäre schön wenn Sie sich dafür Zeit nehmen würden und herausfänden, was Ihr Mann jetzt wirklich braucht. Aber noch wichtiger ist die Frage, was Sie im Moment benötigen? Ich sehe nämlich, dass Sie ganz schön passiv sind.“

 

„Was? Ich soll passiv sein? Ich tue und mache doch alles für meinen Mann!“ sie schreit das fast heraus, es scheint ihr sehr wichtig zu sein, dass ihr Engagement und ihre andauernde Hilfestellung gesehen wir. Ich erkläre ihr Folgendes:

 

„Natürlich, sind Sie sehr aktiv, aber bei einem bestimmten Thema, um das es jetzt auch gehen sollte, sind Sie sehr passiv und vermeiden durch Ihr ganzes Tun, dass dieses Thema angeschaut werden kann. Verstehen Sie, wovon ich spreche?“

„Sie meinen, dass mein Mann sterben könnte? Das vermeide ich sehen zu wollen und reiße mir deswegen den lieben langen Tag den Allerwertesten auf? Meinen Sie das?“

„Das könnte ein Thema sein, das im Moment von Ihnen beiden tabuisiert wurde. Vielleicht schon seit dem Bekanntwerden der Diagnose. Sie haben sehr viel mit ihrem Mann zusammen getan und damit ein gemeinsames Tun entwickelt, was auch Ihrer Beziehung gutgetan hat. Doch jetzt scheint Ihr Mann aus dieser Strategie aussteigen zu wollen und es entsteht ein Loch, auch ein Aktivitätsloch. Und aus diesem Loch erhebt gerade ein Thema, das bisher vermieden wurde, sein Haupt und wünscht gesehen zu werden.“

„Ja, das kann sein. Seit den Metastasen habe ich Angst, dass er gehen wird. Das will ich noch nicht realisieren. Sie meinen, dass wir das anpacken sollten? Ich glaube, dass ich mich nicht traue. Er wird mir vorwerfen, dass ich ihn aufgeben würde und genau das will ich eben nicht!“

„Ich glaube, dass das ihr Mann sehr genau weiß. Er weiß sehr sicher, dass Sie immer um ihn kämpfen würden. So kennt er Sie! Aber Sie beide sollten sich mit dem Gevatter Tod auseinandersetzen. Wir sind durch die biblischen Geschichten vom Menetekel, den Zeichen an der Wand, die dem König Belsazar den nahen Tod künden, oft beeinflusst. Das heißt, dass wir an das Sterben glauben, sobald jemand davon spricht. Aber ein erwachsener Umgang damit ermöglicht es uns unsere eigene Endlichkeit wahrzunehmen, anzuerkennen und dann lebendiger zu werden. Das heißt, dass unser Leben erst dann wirklich lebendig wird, wenn wir auch den Tod integrieren.“

„Das klingt fast logisch. Da draußen im Warteraum haben Sie einen Spruch stehen, der mir jetzt gerade wieder verständlicher wird.“

„Ah, ja, der alte Sufi-Spruch: Wer nicht stirbt, bevor er stirbt, der verdirbt, wenn er stirbt.“

„Ja genau, jetzt verstehe ich den erst richtig. Ich glaube den fotografiere ich mir ab und bespreche das mit meinem Mann. Was meinen Sie?“

„Ja, das kann ein guter Einstieg sein. Ich wünsche Ihnen viel Mut!“

 

Wir verabschieden uns voneinander und ich spüre, wie der Gevatter Tod ihr hilft die Tüten zu tragen, sie scheinen nicht mehr so schwer zu sein.

 

 

 

 

 

 

 

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