fbpx

  in Beitrag unserer Redakteurin Ingrid M. Englert

Alles eine Frage der richtigen Seite?

 

Es ist immer wieder erstaunlich für mich zu lesen, wie sehr verbreitet Warnungen und Empfehlungen zur Sicherheitsabfrage für Methoden, die etwas von der Schulmedizin abweichen, sind.

So gibt es z.B eine Checkliste des University Cancer Centers Schleswig Holsteins, in der folgender Satz unter der Rubrik „Komplementärmedizin“ zu finden ist:

 

„Komplementäre Medizin stellt begleitende und ergänzende Möglichkeiten dar, die zur ganzheitlichen Betreuung beitragen. Dazu gehören u.a. Ernährungsberatung, pflanzliche Arzneimittel, Naturheilverfahren aber auch Entspannungsverfahren, körperliche Aktivität und vieles mehr.

An dieser Stelle ist es uns wichtig zu betonen: Komplementäre Medizin ist eine Ergänzung und kein Ersatz für die Schulmedizin – sie ist keine alternative Medizin!“

 

Dann folgt ein Abschnitt mit einer Art Checkliste und Fragestellungen.

Das ist unbestritten eine sehr wichtige und auch durchdachte Liste.

ABER:
Leider wird hier sehr stark verallgemeinert. Nicht alle Methoden der Komplementärmedizin sind wissenschaftlich umstritten oder nicht bewiesen.

Und -mal ehrlich-treffen „wissenschaftlich umstritten“ nicht auch auf diverse medikamentöse oder auch andere schulmedizinische Maßnahmen zu?

 

Sehr oft habe ich gehört, dass Pflegekräfte oder auch Ärzte es  unverantwortlich finden und auch ablehnen, wenn Menschen erklärt wird, dass sie eine „eigene Schuld“ an der Erkrankung hätten oder die Krankheit „unbewusst gewollt“ hätten.

Dazu möchte ich erklären:

Das Unbewusste gilt bisher als unerforscht. Und es wäre demnach nicht wissenschaftlich, zu behaupten, dass es das Unbewusste nicht gibt oder so etwas nicht möglich sei.

Denn: wir wissen es nicht!

In der Wissenschaft wird dann immer formuliert.
„Es liegen keine ausreichenden Daten dazu vor.“

Daher kann man nicht behaupten, dass es diesen Zusammenhang gibt oder auch nicht gibt. Es sind Theorien und Vermutungen- auf beiden Seiten. Und es gibt Hinweise und Daten für diese Theorien, aber eben keine ausreichenden.

Wissenschaftliche Studien mit ausreichenden Daten gibt es z.B. zum Nachweis von  Zusammenhängen  zwischen ungesunder bis hin zur selbstschädigender Lebensweise und diversen Krankheiten, schweren Krankheitsverläufen und/oder lebensverkürzenden Erkrankungen.
Hierbei geht es aber nicht um „Schuld“ sondern um  Verantwortung.
In der psychosomatischen Medizin werden Zusammenhänge seelischer Störungen und somatischer Krankheitsbildern erforscht und behandelt.

Es ist nicht hilfreich für uns alle, wenn die Komplementärmedizin und die Schulmedizin versuchen sich mit polemischen Sprüchen gegenseitig zu verunglimpfen.

Es bleibt unumstritten, dass  leider immer wieder Menschen im Gewand eines „Heilers“ oder „Therapeuten“ Heilversprechen abgeben oder sehr viel Hoffnung „verkaufen“ und damit Menschen, die sich davon vollständige Genesung erhoffen oder dass der Krebs „verschwindet“ manipulieren und finanziell ausbeuten.
Hier wird die Angst vor dem Tod, vor Schmerzen und Leid ganz bewusst benutzt, um Menschen an sich zu binden, Macht auszuüben und sich finanziell zu bereichern.
Und wenn diese Menschen dann noch eine Heilpraktiker Erlaubnis besitzen, dann entsteht leider schnell der Eindruck, dass es einen kausalen Zusammenhang zwischen Scharlatanerie und Heilpraktikern gäbe.

 

Aber so einfach lässt sich das nicht ableiten.
Ein interessanter Aspekt in dieser Checkliste sind die sog. „unklare Spielregeln“, “finanzielle oder psychische Ausbeutung“.
Dazu hätte ich ein paar Fragen: Wer bitte kennt die Spielregeln der Pharmaindustrie, des Ärztestandes, der Gesundheitspolitik als solches und und und…
Wird die Operation wirklich durchgeführt, weil eine Notwendigkeit besteht oder weil ein Assistenzarzt diese OP auf seinem Facharztschein benötigt?
Ist diese Chemotherapeutische Studie wirklich lebensverbessernd oder hat gravierenden Heilungserfolg  oder braucht die Klinik dringend Probanden?
Wird hier nicht eventuell mit der (Todes-)Angst der Patienten gespielt, Patienten manipuliert?

Und ist es nicht auch so, dass auch Ärzte zum Teil fatale Prognosen abgeben:

z.B. „Sie werden wieder vollständig genesen“. „Sie sind jetzt wieder gesund“.

Meist entstehen solche Sätze aus ihren eigenen Ängsten heraus oder aus Überschätzung Ihrer Kompetenzen und einer Hybris ihrer eigenen Fähigkeiten.

Es gäbe sicherlich noch weitere Beispiele, die das gut darstellen können.

Bei den sogenannten „Heilungsversprechen“ von ärztlicher Seite wird oft mit statistischen Werten gearbeitet:
„Wenn Sie diese Chemotherapie machen, dann haben Sie eine Heilungschance von 65 %“ oder „Wenn wir Sie operieren, verbessern sich ihre Heilungschancen um soundso viel Prozent“.
Diese Aussagen und auch statistische Werte werden dazu benutzt, darzustellen, dass es „sinnvoll“ oder „wichtig“ oder gar „notwendig“ ist, diese Maßnahmen zu ergreifen oder sich dieser Behandlung zu unterziehen.

Aber um mir einen umfassenden Überblick zu verschaffen, müsste ich als Patient diese Studie vorab lesen und mit anderen Studien dann vergleichen. Ich müsste mir als Patient einen Überblick anhand der Gütekriterien für Studien verschaffen. Erst dann wüsste ich, ob diese Studie und die Statistischen Werte stimmig sind und auch was sie bedeuten.

Doch zurück zu den Angeboten der Alternativmedizin:
Auf dem sogenannten Markt der alternativen Heilmethoden gibt es eine Vielzahl von Anwendungen, Techniken und Phänomenen, die wissenschaftlich wenig oder gar nicht erforscht sind. Das bedeutet aber nicht, dass sie per se nicht existent sind oder nicht funktionieren. Es bedeutet nur, dass wir, Stand heute, das eine oder andere Phänomen mit den aktuellen Forschungsmethoden nicht erforschen können. Vielleicht wird sich das irgendwann ändern.
Wir müssen uns nur daran erinnern, welch abstruse und teilweise auch gefährlichen Thesen und Lehrmeinungen sich entwickeln durften mangels nicht vorhandener Möglichkeiten des Erforschens und dem Verbot des Einsatzes technischer Errungenschaften im Laufe der geschichtlichen Entwicklung der Schulmedizin.
Von der Idee, die Gestirne hätten Einfluß auf unsere Organe und Gott bestrafe unsere Sünden mit einer Krankheit ist die Medizin jetzt im High Tech Bereich angekommen.

Und dennoch: bei Epilepsieanfällen spricht man von einer „Aura“.
Diese „Aura“ signalisiert einen bevorstehenden Anfall.

Wäre doch auch eine Überlegung wert, ob es eine Aura an sich gäbe und nicht nur im Falles eines bevorstehenden epileptischen Anfalls.

Sehr erfahrene Pflegekräfte und Ärzte haben oft eine  präzise Voraussicht oder Ahnung hinsichtlich der Verläufe von Krankheiten bei Patienten, Verschlechterungen des Allgemeinzustands bis hin zu Sterbezeiten.

Das wird gern als „Bauchgefühl“ umschrieben.
Es existieren Studien, die dieses Phänomen untersucht und herausgefunden haben

, dass viele Ärzte, ihre Patienten nur nach Bauchgefühl behandeln und nicht nach wissenschaftlich fundierten Leitlinien. Dort wird dargestellt, dass Evidenzbasierte Medizin (EBM), also eine Medizin, die auf den aktuellen Stand der Forschung gründet, leider nicht mehr so populär sei.

Dieses Wissen darum macht es schwierig , wen ich als Patient eine folgenschwere Entscheidung hinsichtlich der Arztwahl oder des Therapieverfahrens treffen muss.

 

Aber:  ist dieses „Bauchgefühl“ wirklich eine Unart oder nicht eher eine Form des Wissens, das unabdinglich sich bildet und erweitert, je mehr Berufserfahrung wir aufbauen?

Und warum kann die Intuition sich nicht mit dem EBM verbinden, so wie die Komplementärmedizin mit der Schulmedizin ?

 

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, ob beim Behandler Widerspruch und Kritik angenommen wird.
Denn nicht selten erwarten Behandler auf dem Marktplatz der sog „Heiler“ unbedingten Gehorsam: also alles genauso zu machen wie es gesagt wird. Bedenken oder Einwände sind nicht gestattet oder werden mit Abbruch der Behandlung bestraft. Manchmal werden Patienten zum Abbruch ihrer klinischen Therapien gedrängt, manchmal in der Form, dass der Behandler nur arbeiten könne,  wenn es keine anderen „Störfelder“ mehr gäbe usw.  Die Zusammenarbeit mit anderen Methoden oder Behandlern werden kategorisch abgelehnt oder ausgeredet….die Liste der Beispiele wäre sehr lang.

Jetzt mal auf die Seite der Schulmedizin geblickt: Wie oft hat Ihr Arzt oder Ihre Ärztin Widerspruch oder Kritik angenommen?

Ist es nicht eher so, dass man dann freundlich darauf hingewiesen wird, es bei einem anderen Kollegen zu versuchen oder wird nicht bei Kritik auf die fachliche Kompetenz verwiesen und klinische Erfahrung?

Werden meine Bedenken bei Ärzten immer ernst genommen? Oder ist es nicht eher so, dass diese weggewischt werden mit Übereifer, Ehrgeiz oder aufgrund mangelnder Empathie?
Und stellen wir uns mal vor, Sie erklären ihrem Arzt, dass sie parallel noch bei einer Heilpraktikerin sind, an systemischen Aufstellungen teilnehmen und anthroposophische oder noch „schlimmer“ homöopathische Medikamente zu sich nehmen.

Nicht selten hört man dann abfällige und völlig unwissenschaftliche Kommentare bis hin zu versteckten Drohungen und Angstschürereien.

 

Man kann nicht immer die Beispiele gegeneinander aufwiegen, aber vielleicht wird durch das Gegenüberstellen sichtbarer, dass die Checkliste nicht nur geeignet ist, um Behandler und Behandlungen aus dem Bereich der Komplementärmedizin zu überprüfen sondern ein geeignetes Instrument ist um grundsätzlich medizinische Behandler und Behandlungen zu hinterfragen .

An dieser Stelle möchte ich betonen, dass ich viele gute und sehr gute, offene, kritische und empathische Ärzte und Ärztinnen kennenlernen durfte im Laufe meiner beruflichen Tätigkeit als Krankenschwester in versch. Klinischen Settings.

Und genauso habe ich gute und sehr gute Behandler aus dem Bereich der Komplementärmedizin kennenlernen dürfen.

 

ABER: Es ist niemandem geholfen, der Schulmedizin nicht und der Komplementärmedizin nicht, wenn wir ständig nur mit dem Finger auf den anderen zeigen und auf Fehlersuche BEIM ANDEREN gehen.

Der griechische Arzt Hippokrates hat den Satz geprägt:

„Wer heilt hat Recht“

Die Frage ist nicht Schul- oder Alternativmedizin, sondern: Was hilft dem Patienten.

Findet die Behandlerin oder der Behandler alles gut was ich wünsche und bezahle? Oder berät er mich auch kritisch, ohne meine Suche nach zusätzlicher Hilfe abzuwerten?

 

 

Quellenverzeichnis:

https://www.uksh.de/uccsh/Patienten+_+Angeh%C3%B6rige/Leben+mit+und+nach+Krebs/Komplement%C3%A4rmedizin.html   (25.07.2023)

https://www.zeit.de/zeit-wissen/2007/04/Betrogener-Patient-Leserbriefe/seite-2

(25.07.2023)

Cookie-Einstellungen