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Heute sitzt mir Frau Wittmers gegenüber. Sie ist 42 Jahre alt und Abteilungsleiterin in einem mittelständischen Betrieb in der Metallindustrie. Sie weiß, dass ich auch im betrieblichen Gesundheitsmanagement (BGM) aktiv bin und hat mein Programm „Gesund in Führung“ gebucht, das auch Präsenzsitzungen beinhaltet, in denen wir über aktuelle Themen sprechen, mit denen sie im Betrieb zu tun hat. Dabei geht es im weitesten Sinne immer darum „Gesundheit“ im Betrieb zu fördern und krankmachende Faktoren zu reduzieren.

Heute erzählt sie mir, dass sie zum ersten Mal, seitdem sie in der Führungsposition ist, mit einem an Krebs erkrankten Mitarbeiter zu tun hatte. Das hat sie überfordert und es war eine sehr unangenehme Situation für sie, denn Krebs im Betrieb hatte sie noch nicht. Ich bitte sie erst einmal zu beschreiben, was denn konkret vorgefallen sei.

„Ach Herr Bach, eigentlich ist da noch gar nicht viel passiert, aber ich spüre eine gewisse Unsicherheit, wenn ich mir die weiteren Begegnungen vorstelle. Also, ich war auf dem Weg zu einer Besprechung und hatte es ziemlich eilig. Da hält mich Herr Meisinger, ein Mitarbeiter aus der Buchhaltung, an und sagt mir, dass er wegen seiner Krebserkrankung dringend mit mir reden müsste. Ich sagte ihm einen Termin für nächste Woche zu und ging dann weiter. Ich hatte daraufhin ein mulmiges Gefühl im Bauch, ob ich vielleicht zu sachlich reagiert hätte und ob ich nicht empathischer hätte sein müssen. Also habe ich einen Termin bei Ihnen ausgemacht, denn Sie betreuen uns ja im Bereich BGM. Haben Sie denn da einen Ratschlag, wie ich mit Herrn Meisinger umgehen soll?“

Eigene Betroffenheit 

Ich teile Frau Wittmers mit, dass ich es gut finde, dass sie sich Hilfe holt, denn solch ein kompetentes Verhalten von Führungskräften sehe ich selten. Ansonsten möchte ich noch genaueres über ihre Fantasien in Bezug auf das kommende Gespräch erfahren und auch, was sie denn genau berührt an dieser Situation.

„Nun ja, ich bin da irgendwie unsicher, so genau weiß ich auch nicht was mich da beeinträchtigt. Ich hatte im Familienkreis vor einem Jahr einen Todesfall als mein Schwager an Prostatakrebs gestorben ist. Das hat meine Schwester ganz schön mitgenommen und vielleicht denke ich, dass Herrn Meisinger etwas ähnliches zustoßen könnte. Und wenn ich mir vorstelle, dass mir ein Mann gegenübersitzt, dessen Leben vielleicht bald vorbei ist, dann habe ich schon jetzt einen Kloß im Hals.“

„Ah ja, ich verstehe, dass Sie da in Ihren eigenen Erfahrungen gedanklich hängenbleiben und diese auf die Situation mit Ihrem Mitarbeiter übertragen. Können Sie sich gedanklich vorstellen, dass jeder Mensch ein eigenes Schicksal hat und Sie daran gar nichts verändern können? Sie können nur schauen, ob Herr Meisinger eventuell eine Entlastung an seiner Arbeitsstelle benötigt und dies mit ihm zusammen organisieren.“

„Sie meinen, dass eine Krankheit zum Schicksal eines Menschen gehört und dies nicht verändert werden kann?“

„Natürlich ist das Wort ‚Schicksal‘ etwas problematisch, denn es könnte zu Lethargie führen und die Hände in den Schoß legen lassen, nach dem Motto ‚Ich kann ja doch nichts verändern, mein Schicksal ist halt so!‘ Ich verstehe es als ein Packen an Lebensaufgaben, die wir anzugehen haben, um daraus zu lernen. Und jeder muss oder darf seine Aufgaben annehmen oder nicht. Je früher ich lerne mein Paket anzunehmen und mich an die Aufarbeitung mache, umso leichter gelingt mir mein Leben. Dies ist natürlich ein gedankliches Konstrukt, das keinen Anspruch auf Wahrheit hat, aber vielleicht hilfreich sein kann, wenn schwierige Ereignisse im Leben passieren. Diese sollen dann nämlich konstruktiv angegangen werden und daraus wieder etwas mehr Erfahrung und Lebensenergie gezogen werden. Genauso würde ich Ihnen vorschlagen mit Herrn Meisinger umzugehen: ‚Wir schauen gemeinsam hin, wie ich als Ihre Führungskraft Sie jetzt am sinnvollsten unterstützen kann, ohne dass die betrieblichen Belange darunter leiden müssen.’“

„Mhmm, ja das klingt gut, was kann ich denn konkret noch tun?“

Tipps für das Gespräch

„Nun ich denke, dass Sie sicherlich für das Gespräch einen ungestörten Raum zur Verfügung stellen, in dem Sie auch telefonisch nicht abgelenkt werden können. Ansonsten führen Sie das Gespräch in einer wohlwollenden, interessierten und hauptsächlich zuhörenden Haltung. Vermeiden Sie Mitleidsbekundungen, sondern bleiben Sie sachlich und lösungsorientiert.

Herr Meisinger wird sicherlich ein Bedürfnis äußern, denn ansonsten hätte er nicht um das Gespräch gebeten. Versuchen Sie gemeinsam eine Lösung für dieses Bedürfnis zu finden. Sicherlich wird es auch um Entlastung vom Arbeitsalltag gehen. Dann wäre die Frage, ob der Workload auf andere Kollegen verteilt werden kann und inwiefern diese dann in die aktuelle Situation von Herrn Meisinger eingeweiht werden sollen. Dies kann Herr Meisinger am besten selbst auch vornehmen, falls er das wünscht. Sie selbst dürfen natürlich über die Erkrankung im Betrieb nicht reden, daher überlassen Sie das dem Mitarbeiter, wie er das handhaben möchte.

Welche Möglichkeiten zur Jobrotation oder andere Maßnahmen zur Entlastung es in ihrem Betrieb geben kann, könnten Sie im Vorfeld auch nochmals mit dem Betriebsrat oder der Personalabteilung absprechen. Verschaffen Sie sich da bitte einen Überblick, um im Gespräch auch dieses Prozedere mit ihm zu besprechen. Ansonsten könnten Sie auch gerne ein weiteres Gespräch anbieten, bei dem dann eben jemand von der Personalabteilung oder auch der Betriebspsychologe anwesend sein kann. Also da gibt es sicherlich viele Möglichkeiten in Ihrem Betrieb. Natürlich wäre es gut, wenn Herr Meisinger auch zu mir wegen einer psychoonkologischen Beratung käme, um seine Ängste, Unsicherheiten und Fragen gut gerahmt zu bekommen. War bei meinen Ausführungen jetzt etwas Sinnvolles für Sie dabei?“

„Ja sicherlich, vielen Dank. Ich werde mich auch nochmals im Betrieb erkundigen, wie das bei uns generell geregelt ist. Ich bin ja noch nicht so lange in dieser Führungsposition und hatte so etwas bis jetzt noch nicht zu klären. Ich fühle mich aber jetzt wieder auf vertrauterem Terrain und werde das Gespräch sachlich angehen. Danke, dass Sie mir zugehört haben!“

Wir verabschieden uns und ich muss noch lange über dieses Gespräch nachdenken, denn ich kann mir vorstellen, dass der Krebs in vielen Betrieben sehr tabuisiert wird und „Peinlichkeit“ als vorherrschendes Gefühl zwischen den Menschen dort aufkommt. Also bitte verändere Du die Kultur in Deinem Betrieb hin zu Offenheit und Transparenz, wenn dies vom Patienten gewünscht wird.

Krebs im Betrieb Tipps
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